Bei Rechtsgeschäften mit Vorstandsmitgliedern wird die AG ausnahmsweise durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 112 AktG). Nach einer neuen Entscheidung des BGH gilt dies auch für Geschäfte mit Gesellschaften, deren Alleingesellschafter ein (künftiges) Vorstandsmitglied ist. Ob auch Beteiligungen unterhalb der 100%-Schwelle erfasst werden, ist demgegenüber nach wie vor offen.
I. Worum geht es?
Aktiengesellschaften werden im Normalfall durch ihren Vorstand vertreten. Eine Ausnahme gilt aber, wenn eine AG ein Rechtsgeschäft mit einem Vorstandsmitglied abschließt. Dann ist nach § 112 AktG der Aufsichtsrat für die Vertretung zuständig. Das Aktiengesetz unterstellt einen Interessenkonflikt: Womöglich wahren die übrigen Vorstandsmitglieder die Interessen der AG nicht sorgfältig genug, wenn ihnen ein Vorstandskollege oder eine Vorstandskollegin gegenübersteht. Das Gesetz löst diesen Konflikt durch die Verlagerung der Vertretungsbefugnis auf das Aufsichtsorgan. In der Praxis bereitet § 112 AktG Probleme bei Konstellationen, die vom Wortlaut der Vorschrift nicht unmittelbar erfasst werden, aber ähnlich gelagert sind. Hier stellt sich regemäßig die Frage, ob § 112 AktG in erweiternder Auslegung gleichfalls zur Anwendung gelangt, oder ob es bei der Vertretungsbefugnis des Vorstands verbleibt.
II. Warum ist das Thema relevant?
Wenn § 112 AktG greift und trotzdem der Vorstand für die AG handelt, wird diese nicht wirksam vertreten. Das abgeschlossene Rechtsgeschäft ist daher unwirksam. Das kann auch Transaktionen betreffen, die (vermeintlich) bereits seit langem abgeschlossen sind. In dem vom BGH zuletzt entschiedenen Fall (Urteil vom 15.1.2019, Az. II ZR 392/17) setzte die betroffene AG unter Bezug auf die nicht ordnungsgemäße Vertretung etwa mehrere Jahre nach Vertragsschluss erfolgreich die Rückzahlung des Kaufpreises durch, den sie für den Erwerb von GmbH-Anteilen gezahlt hatte; diese waren auch nie wirksam auf sie übergegangen.
III. Für wen ist das Thema relevant?
Das Thema ist für alle Gesellschaften von Bedeutung, für die § 112 AktG gilt, d.h. insbesondere für
IV. Was hat der BGH genau entschieden?
Der Fall des BGH betraf einen Kauf- und Übertragungsvertrag über die Anteile an einer GmbH. Käuferin war eine AG, die bei Vertragsschluss durch ihren Vorstand vertreten wurde. Auf Verkäuferseite standen zwei GmbHs, deren Anteile jeweils vollständig je ein Gesellschafter-Geschäftsführer hielt. Diesen war im Anteilskaufvertrag die Bestellung zu Vorstandsmitgliedern der AG und der Abschluss von Vorstandsdienstverträgen zugesagt worden. Der BGH war der Auffassung, dass die AG bei Abschluss des Anteilskaufvertrages nach § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat hätte vertreten werden müssen. Dabei erweitert er den Anwendungsbereich von § 112 AktG in zweifacher Hinsicht über dessen Wortlaut hinaus und klärt damit bislang umstrittene Rechtsfragen.
Nach Auffassung des BGH gilt § 112 AktG auch
V. Welche Fragen sind noch offen?
Auch nach der Entscheidung des BGH sind eine Reihe von praxisrelevanten Fragen offen. Nicht entscheiden musste der BGH insbesondere die Streitfragen,
VI. Was ist der Praxis zu raten?
Zur Vermeidung u.U. jahrlanger Rechtsunsicherheit sollte die Vertretungslage sorgfältig geprüft werden, sobald Rechtsgeschäfte mitins Auge gefasst werden. Dabei ist gleichgültig, ob es sich um
Vorstandsmitglieder handelt. Im Hinblick auf ehemalige Geschäftsleiter kann § 112 AktG u.U. sogar dann anwendbar sein, wenn diese bereits vor einem Rechtsformwechsel (z.B. von der GmbH in die AG) ausgeschieden sind, der die erstmalige Anwendbarkeit der Vorschrift zur Folge hat.
Im Zweifel sollte durch eine vorsorgliche Doppelvertretung durch Vorstand und Aufsichtsrat für Rechtssicherheit gesorgt werden.
Komplizierter ist die Situation, wenn sich bei einer bereits abgeschlossenen Transaktion mit Blick auf § 112 AktG ein Vertretungsmangel nicht ausschließen lässt. Hier unterscheiden sich die Reaktionsmöglichkeiten je nach Parteirolle und im Übrigen danach, ob ggfs. auch noch ein einvernehmlicher „Rettungsversuch" in Betracht kommt. Letzteres wird vor allem davon abhängen, ob eine der Parteien das Geschäft inzwischen bereut. Wegen der Vielzahl einzubeziehender Faktoren sollte eine auf den Einzelfall bezogene Beratung eingeholt werden.